Das Kloster Rüeggisberg – Ein Ort der Kraft und der Stille
Weit schweift der Blick vom Kloster Rüeggisberg ins Land zu den beeindruckenden Gipfeln des Gantrischmassivs. „Dieser Platz hat eine magische Ausstrahlung“, schwärmt Charlotte. „Die Ruine ist ein richtiger Kraftort.“ An ihrem Rucksack baumelt die Jakobsmuschel, das Erkennungszeichen der Pilger, die auf dem Weg nach Santiago de Compostela sind. Die Kunstlehrerin hat sich von Deutschland aus auf den uralten Pilgerweg gemacht, der auf 400 Kilometern durch die Schweiz führt. Kloster Rüeggisberg ist eine beliebte Station auf der Route. Schon vor Jahrhunderten wurden die Wallfahrer hier von den Mönchen des Cluniazenserordens beherbergt.
Charlotte hält sich nicht für religiös. Mit der traditionellen Kirche hat sie nicht viel am Hut. Trotzdem ist sie auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen. Und die findet sie meistens in der Natur. Sie sammelt ihre ganz persönlichen Kraftorte. „Orte, an denen ich mich erden und wo meine Seele zur Ruhe kommen kann.“ Kap Tenaro an der Südspitze des Peloponnes gehört dazu – und seit heute auch Kloster Rüeggisberg. „Hier fließt Energie“, sagt sie. „Das ist ganz stark zu spüren.“
Eine bedeutende Kultstätte
Kein Wunder. Schon um 1072 bauten die Mönche Cono und Ulrich auf einem Vorsprung am Längenberg ihre ersten einfachen Zellen. Möglich wurde dies durch eine Stiftung des Freiherrn Lütold von Rümligen, der sich dem aufstrebenden Orden verbunden fühlte. Doch vermutlich befand sich schon in vorchristlicher Zeit auf dem „montis richerii“, dem „Roggeresberch“, eine heidnische Kultstätte. Die Region war ein Refugium der Kelten. Ganz in der Nähe soll sich das Schloss der Feenkönigin Helva befunden haben. Die Einheimischen, die beim Bau des Klosters mithalfen, taten dies mehr oder minder halbherzig. Sie verehrten insgeheim weiterhin ihre Naturgötter. Vielleicht war das der Grund, dass die romanische Klosterkirche erst 1175 vollendet wurde.
Der Orden der Cluniazenser war eine klösterliche Reformbewegung, die ihren Ursprung in Cluny im Burgund genommen hatte. Die Mönche waren unabhängig von weltlichen Fürsten und direkt dem Papst unterstellt. Chorgesang und Gebet bildeten die Mitte ihres Glaubens. Aber auch Barmherzigkeit, Gastfreundschaft, Armenfürsorge und Krankenpflege zählten zu den christlichen Idealen der Mönche. Der Orden wuchs rasch. Zeitweilig besaß er etwa 1.200 Klöster mit rund 20.000 Mönchen.
Geheimtipp im Gantrischgebiet
Kloster Rüeggisberg gehörte im frühen Mittelalter zu den bedeutendsten Klosterbauten der heutigen Eidgenossenschaft. Es war die erste Niederlassung auf deutschsprachigem Gebiet. Heute ist von der einstigen Anlage nur noch eine Ruine zu sehen. Noch vor der Reformation verfiel Kloster Rüeggisberg allmählich. 1541 wurden die Pforten der Kirche endgültig geschlossen, die Gebäude teilweise abgerissen oder zweckentfremdet. Das nördliche Querschiff diente als Kornspeicher und als Gerümpelkammer. Und in so manchem alten Bauernhaus finden sich Steine aus der ehemaligen Abtei. Nach 1938 restaurierte der Staat Bern die Ruine und liess die Fundamente freilegen. In einem kleinen Museum können sich die Besucher Grabungsfunde ansehen und über die wechselvolle Geschichte zum Kloster Rüeggisberg informieren.
Die alten Mythen sind im Gantrischgebiet noch sehr lebendig. Schaurige Geschichten erzählt man sich von den Cluniazensern, die hier lebten. Auf einer alten Holzbank vor der Ruine soll ab und zu ein Mönch sitzen. Er trägt seinen Kopf unter dem Arm und büsst für seine Brüder. Denn die sollen, wenn sie vom heiligen Leben genug hatten, durch einen unterirdischen Gang ins Gürbetal geschlichen sein. Dort feierten sie – so will es die Legende – ausschweifende Feste.
Die Ruine ist das Wahrzeichen von Rüeggisberg. Während der Sommermonate finden in den alten Gemäuern Theateraufführungen und Konzerte statt.Hier finden Sie das Programm für den Sommer 2015
Kloster Rüeggisberg ist ein Geheimtipp für Menschen, die auf der Reise sind zu sich selbst.
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